Feiern können die Georgierinnen und Georgier. Das wurde mir auf meiner Reise nach Tiflis eindrücklich vorgeführt, als ich am Abend nach einer langen Sitzung durch die Straßen von Tiflis spazierte. Plötzlich war ich mitten unter den fröhlichen Menschenmengen, die die georgische Fußballauswahl begrüßten. Die Nationalmannschaft war bei der Europameisterschaft in Deutschland zwar ausgeschieden, aber allein das Erreichen des Achtelfinales wurde gefeiert wie ein Titelgewinn, als sich der Bus mit den winkenden Spielern langsam durch die Massen kämpfte.
Beim nächtlichen Straßenfest unter den sich freuenden Menschen konnte man leicht den Eindruck gewinnen, Georgien wäre längst ein fester Teil Europas. Ein Eindruck, der vom Handeln der georgischen Regierung aber konterkariert wird. Weshalb sich der Monitoring-Ausschuss des Europarates, zu dessen Sitzung ich mit gut 60 weiteren Kolleg*innen des Kongresses der Gemeinden und Regionen nach Tiflis gereist war, sich genötigt sah, die Tagesordnung zu ergänzen und ungeplant ein Statement herauszugeben. „Der Monitoring-Ausschuss ist sehr besorgt von den Spannungen und der zunehmenden Polarisierung in der georgischen Gesellschaft, die hervorgerufen wird von einer Gesetzgebung, die nicht den demokratischen Normen und Standards Europas entspricht“, heißt es in der Erklärung, die sich bezieht auf das „Transparenz“-Gesetz und das Anti-LGBTIQ-Gesetz, die im Sommer in Kraft treten sollen und in der Bevölkerung große Proteste ausgelöst haben.
Diese Gesetze haben auch dazu geführt, dass Georgien von der Venedig-Kommission, die demokratische Prozesse beobachtet, gerügt wurde, und dass die EU die Beitrittsverhandlungen auf Eis gelegt hat, weil die Entwicklung im Land ihr Sorge bereitet. Ein berechtigte Sorge, wie ich bestätigen kann nach diesem Besuch, der schon mein zweiter in Georgien innerhalb weniger Wochen war. Ende Mai war ich mit einer Delegation des Brandenburger Landtagspräsidiums bereits in Adscharien, einer autonomen Teilrepublik im Süden von Georgien, zu der Brandenburg seit bald zwei Jahrzehnten gute parlamentarische Kontakte pflegt. Immer wieder bestätigten Menschen, mit denen ich ins Gespräch kam, ihre Angst, Georgien könnte sich von Europa entfernen. Ein Journalist berichtete, dass er seinen Job beim Staatsfernsehen aufgegeben habe, weil die politische Einflussnahme durch die Regierung immer größer wurde.
Wie besorgniserregend die Entwicklung ist, wurde besonders deutlich bei einem Treffen mit Nichtregierungsorganisationen (NGO) am folgenden Tag. Ich hatte den Informationsaustausch zur Demokratieentwicklung angeregt, der freundlicherweise von der Heinrich-Böll-Stiftung in Tiflis organisiert wurde. Die Vertreter*innen verschiedener NGOs stellten eindrücklich dar, dass das demnächst in Kraft tretende „Russian Law“ nach dem Vorbild eines ähnlichen, in Russland geltenden Gesetzes ihre Arbeit nahezu unmöglich machen wird. Besagt das Gesetz doch, dass jede offiziell angemeldete Organisation oder Initiative, die 20 Prozent ihrer Gelder aus dem Ausland bezieht, als „ausländischer Agent“ eingestuft wird. Das wird allerdings so gut wie jede NGO betreffen, weil es keinerlei inländische Finanzierungsmöglichkeiten für zivilgesellschaftliche Initiativen gibt. Die NGOs, mit denen wir uns austauschen konnten, wollen sich deshalb nicht offiziell registrieren lassen. Dann aber drohen drakonische Geldstrafen nicht nur für die NGOs als solche, sondern für jede einzelne Person, die mit ihnen in Beziehung steht. Ist eine Organisation erst registriert, erhält das Justizministerium umfassende Kontrollrechte, die Einblick in sämtliche Dokumente der NGO umfassen. „Eine unabhängige zivilgesellschaftliche Arbeit ist dann nicht mehr möglich“, so ein Teilnehmer des Gesprächs.
Fast noch gefährlicher für die Zivilgesellschaft, so schilderten es die NGO-Vertreter*innen, könnte ein Gesetz werden, das offiziell die „traditionellen Familienwerte“ fördern soll, faktisch aber ein Anti-LGBTIQ-Gesetz ist. Dieses Gesetz ist zudem dermaßen schwammig formuliert, dass mit Verweis auf möglicherweise gefährdete Familienwerte so gut wie jede Kundgebung oder sonstige Veranstaltung verboten werden könnte.
Für die Vertreter*innen der Zivilgesellschaft ist die Orientierung nach Europa deshalb aktuell der einzige Hoffnungsschimmer. „Wir brauchen Europa, lasst uns nicht allein“, gaben sie deshalb mir und den anderen Mitgliedern des Kongresses der Gemeinden und Regionen mit auf den Weg. Mit dem von mir initiierten Treffen konnten wir immerhin signalisieren, dass die Probleme der georgischen Zivilgesellschaft in Europa wahrgenommen werden. Wir erachten ihre Arbeit jedenfalls für ungemein wichtig und nehmen ihre Sorgen und Nöte mit in unsere politische Arbeit in unseren Heimatländern und den europäischen Gremien.
International Society for Fair Elections And Democracy (ISFED)