Oberhavel. Eine Seilbahn. Für Oranienburg. Handlungsempfehlung Nr. 41 im Mobilitätskonzept des Landkreises. „Unsinn“, sagt Henning Schluß. „Ich finde Seilbahnen toll“, sagt Heiner Klemp. Einigkeit indes herrscht darüber, dass die Seilbahn, die Polizeischülerinnen wie Gedenkstättenbesucher einmal quer über die Stadt transportieren könnte, wohl nur Eingang ins Mobilitätskonzept gefunden hat, damit dort auch etwas Visionäres drinsteht.
„Oberhavel Mobil 2040“ ist das um die 200 Seiten starke Dokument überschrieben, das der Kreistag im Juni beschließen soll und das bislang wenig bis gar nicht öffentlich diskutiert wird. Das wollen die Grünen im Landkreis ändern: Die Kreistagsfraktion hatte gemeinsam mit ihrem Mitglied und Landtagsabgeordneten Heiner Klemp für Sonnabend zur Videokonferenz eingeladen. Mehr als 20 Leute aus Nord- und Südkreis nahmen teil und informierten sich über die Pläne und Visionen des Landkreises für die Entwicklung des Verkehrs in den nächsten 20 Jahren.
Schnell wurde deutlich, dass der Diskussionsbedarf groß und längst nicht alle Fragen geklärt sind – etwa die, ob der RE5 wirklich erst dann mit sechs Wagen fahren kann, wenn die Bahnsteige in Dannenwalde und Löwenberg auf entsprechender Länge ausgebaut sind. „Anderswo funktioniert es auch, dass es eine Ansage gibt, dass nur in den ersten Wagen ausgestiegen werden kann“, waren sich Ingrid Hüchtker und Henning Schluß einig.
Die Verlängerung der beiden Bahnsteige ist ebenso wie der Bau der Seilbahn eine von 59 konkreten Handlungsempfehlungen, die im Mobilitätskonzept stehen, durchnummeriert von H1 bis H59, sortiert in zwölf Modulen wie „Straßennetz“, „Schienennetz“, „Rad- und Fußverkehr“ oder „Elektromobilität“. Jede einzelne Empfehlung wird unter anderem danach bewertet, wie viel CO2 und wie viel motorisierter Individualverkehr damit eingespart werden kann.
„Der Star, was die Einsparung angeht, ist der Radverkehr und hier besonders der geplante Bau von Radschnellwegen auf vier Achsen in Richtung Berlin“, erläuterte Heiner Klemp. Frühestens 2026 allerdings würde laut Mobilitätskonzept mit deren Bau begonnen werden, 23,7 Millionen mit dem Auto gefahrene Fahrzeugkilometer ließen sich so einsparen. „Diese Schnellverbindungen sind gut und wichtig, aber die Realisierung dauert viel zu lange“, kritisierte Andreas Blaschke vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) Birkenwerder. „Wir brauchen alltagstaugliche Radverkehrsnetze in Oberhavel und eine gerechtere Verteilung der vorhandenen Verkehrsflächen. Kein Wort dazu im Konzept“, so Blaschke weiter.
Dem stimmte Kathrin Willemsen auch mit Blick auf den Norden des Kreises und die jüngsten Verkehrsteilnehmer zu. „Wer von Grüneberg nach Löwenberg sicher mit dem Fahrrad zur Schule fahren will, muss drei bis vier Kilometer Umweg in Kauf nehmen, da die kürzeste Verbindung zu gefährlich ist.“ Ein Kritikpunkt am Mobilitätskonzept: Statt auf diese Alltagsverbindungen richtet es den Fokus beim Radverkehr auf die touristischen Strecken. „Die werden gefördert, da Tourismus die Wirtschaft stärkt“, erklärte Heiner Klemp: „Hier andere Förderprogramme zu entwickeln, ist ein Thema fürs Land. Das nehme ich mit.“
Die Diskussion zum Thema Radverkehr war damit lange nicht erschöpft, und mindestens ebenso viel Redebedarf besteht zu weiteren Aspekten des Mobilitätskonzepts wie etwa den Schienenverkehr, Busverbindungen oder die Umstellung auf Elektromobilität. Das machte die mehr als zwei Stunden dauernde Videokonferenz am Sonnabend überdeutlich. „Die Öffentlichkeit wird bislang durch den Landkreis so gut wie gar nicht beteiligt. Das ist nicht zufriedenstellend“, kritisierte Julia Schmidt, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Kreistag. Umso mehr freute sie sich über das große Interesse an der Videokonferenz, die sie moderierte. „Dieses Format hat den großen Vorteil, dass wir mit einer Veranstaltung Menschen im ganzen Kreis erreichen können. Das hat super funktioniert.“
Nach nur einem Wort gefragt, was ihnen zum Mobilitätskonzept einfällt, war „enttäuschend“ übrigens die häufigste Antwort der Teilnehmenden. Dennoch: „Im Vergleich zum Status Quo im Kreis Oberhavel ist das Konzept ein großer Schritt nach vorne“, sagte Heiner Klemp abschließend. Nun gelte es dafür zu sorgen, dass das Mobilitätskonzept des Kreises nach Beschluss nicht in einer Schublade verschwindet, sondern, dass die positiven Aspekte aufgegriffen und zügig umgesetzt werden. „Wir nehmen jede Menge Anregungen aus der Diskussion mit und lassen sie in unsere politische Arbeit einfließen, auf Kreis-, aber auch auf Landesebene“, waren sich Julia Schmidt und Heiner Klemp einig.